Woran erkennen Sie, ob die Schule Ihres Kindes etwas taugt?

von Adelheid Putz


Es gibt sie, die Schulkonzepte, die funktionieren.

Schulkonzepte, die Inspiration und Mut in die verfahrenen österreichische Bildungssituation und- diskussion bringen können.

Beim Besuch der IGS Göttingen (Georg-Christoph- Lichtenberg-Gesamtschule, Deutscher  Schulpreis 2011, 1975 gegründet) holt sich nicht nur unsere Gruppe- der Besuch wurde von den Währinger Grünen organisiert- sondern auch die Vorarlberger Wirtschaftskammer und KollegInnen aus dem Ländle Anregungen und die Zuversicht, dass Veränderungen im  Bildungswesen möglich sind.


Woran erkennnen Sie also, ob die Schule Ihres Kindes etwas taugt?


1. Ihr Kind freut sich morgens auf die Schule. Die Lehrer freuen sich auf Ihr Kind.

2. Und den Satz „wir würden ja gerne, aber es sind uns die Hände gebunden“ hören  Sie an dieser Schule nie.

3. Der Schulleiter ist mehr als ein Verwaltungsexperte. Er hat ein Weltbild. Und eine  Haltung.

(Aus den 15 Punkten der Spiegel-Checkliste)


Ich habe mir diese drei (von 15 Punkten) besonders gemerkt, vielleicht auch deshalb, weil sie viel mit dem österreichischen Schulwesen zu tun haben.

Nicht dass es solche Schulen bei uns gar nicht gibt, aber im öffentlichen Schulwesen und Diskurs dominieren andere Töne.

Die IGS Göttingen kann sich vor Anmeldungen nicht retten, 64% der SchülerInnen gehen weiter zum Abitur. Woran liegt es, dass diese Schule etwas taugt? Nun, die Schule setzt seit ihren Anfängen vor 40 Jahren auf das Konzept der Teamarbeit, auf Ebene der SchülerInnen und Eltern Tischgruppen (6 Personen) genannt. Diese Teamarbeit zieht sich aber durch alle Ebenen des Standortes.

Auch die Schulleitung arbeitet im Team (8 Personen). Es werden nicht einzelne Fächer unterrichtet- lieber spricht der Schulleiter Wolfgang Vogelsaenger vom Lernen-, sondern zusammengefasste Fächergruppen, z.b. Naturwissenschaft, Gesellschaft, arbeiten gemeinsam an Themen. Es gibt Lernentwicklungsberichte statt Noten, kein Sitzenbleiben in der Sekundarstufe I, denn Lernen kann man nur ohne Angst.

Wesentlich sind auch die Eltern der in Tischgruppen versammelten SchülerInnen. LehrerInnen besuchen diese Elterngruppen zuhause, jedes Elternhaus ist Gastgeber.

Das Konzept wird begleitet und ständig evaluiert- wo Verbesserungsbedarf entsteht, wird geforscht (Universität, pädag.Hochschule), gemeinsam nachgedacht, die Umsetzung aber bleibt in der Kompetenz der Schule-und wird nicht etwa von der vorgesetzten Behörde angeordnet. Wolfgang Vogelsaenger drückt es so aus: „Schulen soll man in Ruhe arbeiten lassen“.


Scheinbar paradoxe Leitvorstellungen finden sich hier:

Starke Führungspersönlichkeit, klare Haltung und sehr viel Erziehungsarbeit auf der einen Seite- unglaublich viel Selbstverantwortung und Autonomie bei SchülerInnen und Lehrkräften. Z..b. Gibt es an dieser Schule keine Pausenaufsicht und mit Ausnahme des Schulgartens keine umzäunten Bereiche. Die Außenanlagen der Schule gehen in Spielplätze über.

Alle an dieser Schule sprechen sich mit Du an, eine egalitäre und wertschätzende Kultur ist spürbar. Die Kantine bietet ausgezeichnetes Essen an, alle Eltern werden verpflichtet, für dieses Essen zu bezahlen (45.- Euro/Monat)Besonders angenehm ist mir, in Erinnerung mit welcher Freundlichkeit der Schulleiter eine Schulwartin, es ist Freitag Nachmittag, grüßt- so als wäre sie der Landesschulinspektor.


An dieser Schule gibt es wirklich viel Platz- gemessen am österreichischen Alltag. Große, gepflasterte Eingangsbereiche, Theaterhalbrund, Spielplätze außen, eine große Aula mit vielen Tischtennistischen, Wuzltischen, Theaterhalbrund innen, Architektur aus den 70igern, LehrerInnenarbeitsplätze, die diese Bezeichnung verdienen.

Jeder Jahrgang hat Gemeinschaftsbereiche und Klassen, die 6 Jahre lang bewohnt werden. Das schafft Kontinuität und Vertrautheit.

Die Klassen liegen räumlich gesehen außen- ein Blick über die Landschaft (die Schule liegt am Stadtrand), eine weite Perspektive ist möglich.

Es gibt gut ausgestattete Laborräume, eine Autowerkstatt, einen Schulgarten (die Kirschen sind gerade reif!!!), ein Kino, eine Diskothek, eine Bibliothek, die durchgehend besetzt ist. Diese Bibliothek ist vom Angebit etwa einer Zweigstelle der Wiener Bücherei vergleichbar und hat auch in diesem Stadtteil eine ähnliche Aufgabe.

Sozialpädagogen sind Teil des Teams. Diese regeln klar, unter welcher Voraussetzung SchülerInnen ohne Aufsichtspersonen Kino und Diskothek nutzen können.


Der Schulalltag weicht stark ab von meiner Erfahrung der „Käfighaltung“ in Österreich, sowohl was LehrerInnen als auch SchülerInnen betrifft. Und weicht auch stark ab vom Denken in Vorschriften, das ich -schon seit Jahrzehnten in unserem System- sehr gewohnt bin. Wie wohltuend, zu hören, dass man dem eigenen pädagogischen Verstand durchaus trauen kann, besonders wenn der Schulleiter darauf hinweist, was er an Vorschriften und Erlässen ungelesen entsorgt hat.

Natürlich- die Schule hat aufgrund des Erfolges viel Unterstützung der Stadt Göttingen und des Landes Niedersachsens. Wesentlich für diesen langjährigen Erfolg waren sicher die Anfangsjahre, (zum Weiterlesen s. www.igs-goe.de) v.a. die Konzeptentwicklung damals und das Durchhalten des Konzepts, während bei uns Konzepte gerne verwässert und untergraben werden.

„Wen interessiert die Schulqualität?“, ist eine Frage von Vogelsaenger, die mich bis Wien begleitet.

Die gesellschaftliche Heterogenität hat meinen vielfältigen Erfahrungen mit und in der Schule nach in den letzten 20 Jahren unglaublich zugenommen, Schule wird heute mit sehr vielen widersprüchlichen Wünschen konfrontiert. Ich meine, dass dies die zentrale Herausforderung an Schulen heute ist. Das Besondere an dieser Schule ist, dass sie hier die passende Antwort parat hat: Sie lautet nicht Individualisierung, sondern Zusammenarbeiten lernen, teamfähig werden. Diese Antwort gefällt mir extrem gut, sie ist eine stimmige Antwort auf die Probleme heutiger Gesellschaften. Diese Eindrücke werden von denTeilnehmerInnen ständig diskutiert, mit den österreichischen Möglichkeiten verglichen, Vorschriftendenken gerät uns ständig in die Quere, aber der Funke hat uns erreicht. Vielleicht eine Initialzündung für Wien?

 

Adelheid Putz

28 J. Lehrerin an einer Wiener AHS, dort Personalvertreterin

3.7. 2014

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